Es ist einfach zu erahnen, wie anstrengend es ist, sich Tag für Tag mit solchen Situationen auseinandersetzen zu müssen, die Verlegenheit, Frustration, Demütigung und Leid erzeugen können, sodass es die Betroffenen oftmals dazu bringt, das Sehproblem zu verbergen, was aber wiederum dazu führt, sich das Leben schwerer zu machen, wenn nicht sogar durch gewagte Aktionen sich in Gefahr zu bringen.
Dieser Hintergrund lässt oftmals die Überzeugung entstehen, oder bessergesagt die Illusion, es alleine schaffen zu können, ohne die Hilfe von nichts und niemanden! Diese Überzeugung führt dazu, dass sich Betroffene das Leben viel schwerer machen als es sein könnte, und dass der Prozess aufgehalten, wenn nicht sogar vollständig blockiert wird, der zur Akzeptanz der eigenen Lage sowie der damit verbundenen Einschränkungen führt. Gerade dieser Prozess ist jedoch ausschlaggebend für die Entwicklung und Festigung des eigenen Selbstwertgefühls.
Sehr häufig geschiet dies im Jugendalter: für jeden Jugendlichen ist es das Wichtigste, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen, von den Gleichaltrigen akzeptiert zu werden: in diesem Alter ist die Tendenz groß, sich den anderen anzupassen, dies wird jedoch durch das Vorhandensein eines stark unterscheidenden Elements wie die Behinderung erschwert. Dies bringt jugendliche Sehbehinderte dazu, diese möglichst zu verstecken: besser sich anstrengen und sich bis zur Unerträglichkeit abmühen, als sich die Schwierigkeit ansehen zu lassen. Die Jugend ist die Phase des Lebens, während welcher die Individuen damit beschäftigt sind, die eigene Identität zu definieren, während dieses Prozesses spielt das Selbstvertrauen eine ausschlaggebende Rolle. Jugendliche müssen darin unterstützt werden, die Sehbehinderung in das eigene Ich einzuverleiben, Limits die damit verbunden sind einzusehen und zu akzeptieren, ohne aber dass diese Grund für Geringschätzung sind.
Das Selbstwertgefühl ermöglicht es einem Menschen, genügend Vertrauen in sich selbst zu haben, sodass er keine Angst haben muss, sich in allen Lebenslagen ins Spiel zu bringen (schulisch, beruflich, sozial), ohne seine Schwierigkeiten zu verbergen, und indem er verhindert, dass diese sein Wohlbefinden untergraben.
Diejenigen, die im hohen Alter sehbehindert werden durchlaufen den selben Prozess: der Unterschied liegt jedoch darin, dass der Erwachsene seine Identität neu erfinden muss. Ausgangspunkt ist die Verarbeitung der Trauer über den Verlust des eigenen Ich’s, das man bis zum Auftreten der Sehstörung war: diejenigen, die eine solche Erfahrung durchleben, müssen das Bild von sich selbst neu aufbauen, indem sie die radikale Veränderung des eigenen Lebens akzeptieren und, dass ein Teil der Dinge, die sie vorher gemacht haben, nicht mehr möglich ist, oder zumindest nicht mehr auf die gleiche Art.
Was wirklich wichtig ist (und dabei muss man ihnen helfen) ist, dass sie die eigene Wertschätzung wiederfinden und anfangen zu glauben, dass das neue „Selbst“ nichts weniger hat als das alte, mit der einzigen Ausnahme des Sehvermögens. Und vor allem müssen sie erkennen, dass sie weiterhin für sich selbst, für die Familie und allgemein für die Gesellschaft nützlich sind, auch wenn auf andere Weise. Wird dieser Geisteszustand erreicht, werden alle Schwierigkeiten praktischer Art (lesen, kochen, umhergehen, arbeiten usw.) nebensächlich. So können diese überwunden werden, und eventuell auch Ansporn sein, sich ins Spiel zu bringen, und Fähigkeiten von sich selbst zu entdecken, von denen man überhaupt nicht wußte, sie zu besitzen.
Die Tatsache, dass oft die Eigenheiten der Sehbehinderungen nicht bekannt sind, führt dazu, dass die Bedürfnisse und Schwierigkeiten derjenigen unterschätzt werden, die mit einer solchen leben. Dies zeigt sich im Fehlen einer angemessenen Sozialpolitik, die es den sehbehinderten Menschen ermöglichen würde, Dienste und Vergünstigungen zu nutzen, die förderlich wären, mit den Schwierigkeiten, welche mit der Behinderung verbunden sind, zurechtzukommen. Der ständige Kampf darum, dass die eigenen Schwierigkeiten und Notwendigkeiten anerkannt werden, führt zu Frustrationen, die oftmals Hass und Leid erzeugen und die eigene Würde verletzen.
Wie also intervenieren, um die Lebensqualität Sehbehinderter zu verbessern? Ich glaube, der richtige Weg ist Information: Es ist wichtig, in allen Bereichen über Sehbehinderung zu sprechen (im ärztlichen, rehabilitativen, sozialen, psychologischen Bereich) und in allen möglichen Zusammenhängen. So zum Beispiel ist es wesentlich, dass die Interessensverbände sich dafür einsetzen, dass die Sehbehinderung bekannt gemacht wird. Es muss endlich die Meinung überwunden werden, dass es nur „schwarz oder weiß“ gibt: Alles oder Nichts, Sehend oder Blind. Es muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass es auch einen Mittelweg gibt, dass es Menschen gibt, die ein bisschen blind und ein bisschen sehend sind, und vor allem, dass man dem nicht zu misstrauen braucht.
Durch das Verständnis der Mitmenschen wird für Sehbehinderte der Weg geebnet, um ihr Leben voll zu leben und vor allem verhindert, dass sie sich als Schutz vor Demütigung und Leid gezwungen sehen, ihre Sehschädigung und ihre Schwierigkeiten zu verbergen. Es kann erreicht werden, dass in jenen Situationen, in denen sie auf die Unwissenheit anderer stoßen, nur ein vorübergehender Zorn hervorgerufen wird, welcher aber schnell wieder vergeht.
(dieser Artikel basiert auf den Vortrag der Autorin beim Meeting „terzo Meeting regionale marchigiano di Ottica Oftalmica“ im letzten Januar in Matelica) (übernommen von: b2magazine n. 2-2016)