Josef Stockner: Ein Leben für blinde und sehbehinderte Menschen
Josef Stockner, oder Sepp Stockner, wie er unter Freunden stets genannt wurde, wurde am 20. Februar 1940 in Schnauders in der Gemeinde Feldthurns geboren. Schon im Kindesalter litt er aufgrund einer Augenerkrankung an einer Sehschwäche, die immer weiter fortschritt. Mit 13 Jahren erblindete er vollständig.
Trotz seiner starken Sehbehinderung besuchte Stockner die Grundschule bis zum 14. Lebensjahr in seinem Heimatort. Dann arbeitete er auf dem elterlichen Hof.
Mit 18 Jahren wurde Stockner in die Blindenanstalt nach Innsbruck geschickt. Dort erlernte er das Korbflechten. Im November 1961 kam er nach Brescia, um einen Telefonistenkurs für Blinde zu besuchen.
Mit 23 Jahren begann er im Krankenhaus Bozen als Telefonist zu arbeiten, wo er 15 Jahre lang tätig war. 1978 wechselte er zur "Bank von Trient und Bozen" und arbeitete dort bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1994.
1965 heiratete Josef Stockner Maria Kerschbaumer, die ebenfalls aus Feldthurns stammte. Gemeinsam haben sie 3 Söhne großgezogen und hatten 6 Enkelkinder sowie eine Urenkelin.
Fast ein halbes Jahrhundert Vorsitz des Blinden- und Sehbehindertenverbandes
1968 wurde Josef Stockner erstmals in den Vorstand der Landesgruppe Südtirol des Italienischen Blindenverbandes und auch gleich zum Präsidenten gewählt. Dieses Amt bekleidete er bis 2015, also fast für fünf Jahrzehnte.2021 wurde er vom Nationalvorstand des Italienischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes zum Ehrenpräsidenten unserer Landesgruppe ernannt.
In die Amtszeit von Sepp Stockner fallen viele gesetzliche Errungenschaften, die das Leben blinder und sehbehinderter Menschen erleichterten. Zunächst ging es um die Auszahlung der provinzialen Ergänzungszulage zusätzlich zur sehr bescheidenen gesamtstaatlichen Zivilrente, dann weiter über verschiedene Etappen bis dann im Jahr 1978 das Landesgesetz Nr. 46 erlassen worden ist, das die vom Staat ausbezahlten Renten und Zuschüsse für Zivilinvaliden, Zivilblinde und Gehörlose seitens der Autonomen Provinz Bozen vorsah. Für all diese Gesetzesmaßnahmen waren zahllose Kleinarbeiten und intensive Verhandlungen mit dem Sozialassessorat notwendig.
Besonders freute es Stockner, wenn durch die Vermittlung des Blindenverbandes junge Menschen eine Arbeitsstelle erhalten konnten, wodurch sie sich eine Existenz aufbauen konnten. So erinnern sich Mitglieder des Verbandes gerne daran, wie Stockner selbst sie an ihrem ersten Arbeitstag zur neuen Arbeitsstelle begleitete.
Der direkte Kontakt zu den Mitgliedern lag Stockner sehr am Herzen. Er traf sich mit Betroffenen im Verbandsbüro, kontaktierte sie telefonisch oder machte landauf landab Hausbesuche, immer begleitet von seiner Ehefrau und oftmals auch von seinen Söhnen. Trotz anfänglicher Ablehnung gelang es Stockner bei so manchen Mitglied, die Neugierde auf die Blindenschrift zu wecken.
Ein Anliegen waren Stockner auch die Initiativen zum Kennenlernen und zur Stärkung der Gemeinschaft. Er hat immer gerne und aktiv mitgemacht und zahllose Vorhaben auch organisiert. Es ging um Treffen, Ausflüge, Sportveranstaltungen usw. Ab 1985 organisierte er regelmäßig Meeraufenthalte und Bergwanderwochen für die Mitglieder.
Über den Vorsitz des Blinden- und Sehbehindertenverbandes hinaus bekleidete Josef Stockner über all diese Jahrzehnte viele weitere Ehrenämter im lokalen und internationalen Blinden- und allgemein im Behindertenwesen, seien diese als Interessensvertretung oder auch sportlicher oder sozial/religiöser Natur.
Ein Mann von großer Menschlichkeit und Einsatzbereitschaft
Sepp Stockner war allseits aufgeschlossen, humorvoll und konnte überhaupt mit Menschen gut umgehen. Deshalb war er überall sehr beliebt. Er pflegte gute Beziehungen zu Vertretern von Blindenverbänden und Blindensportgruppen in ganz Italien und im deutschsprachigen Ausland. Wegen seiner vielen Verpflichtungen war er oft auf Reisen und hatte überall Bekanntschaften geschlossen.Als besonders wichtigen Wert, den Josef Stockner in seinem Leben gelebt hat, ist wie er ganz natürlich mit seiner Blindheit umgegangen ist und wie er stets darauf bedacht war, sich weniger auf das zu konzentrieren, was ihm fehlte, sondern mehr auf das, was er zur Verfügung hatte. Mit dieser Haltung war es Stockner gelungen, ein erfülltes Leben zu leben und es gelte, dieser Haltung nachzueifern.
In den letzten Jahren machte Josef Stockner leider die Verschlechterung seines Hörvermögens zunehmend zu schaffen und diese schränkte sein tägliches Leben und Tun immer mehr ein. Am 30. März 2022 ist er, nach kurzer Krankheit, im Brixner Krankenhaus verstorben. Mit ihm ging eine Säule im Blindenwesen und allgemein im Sozialen in Südtirol verloren.
Artikel veröffentlicht vom Blinden- und Sehbehindertenverband im „Südtiroler Hauskalender 2017“:
Josef Stockner: Ein Leben für blinde und sehbehinderte Menschen
Josef Stockner wurde am 20. Februar 1940 in Schnauders in der Gemeinde Feldthurns geboren. Seine Eltern, Johann Stockner und Anna Kerschbaumer, waren Bauern und hatten acht Kinder, Josef war der zweite Sohn. Schon bald mussten die Eltern erfahren, dass Josef am kindlichen Grünen Star litt. Sie begaben sich mit dem Kind zu verschiedenen Ärzten, aber diese konnten nicht helfen. Man versuchte es wohl mit mehreren Operationen, aber umsonst. Seine Sehkraft nahm ständig ab und mit dreizehn Jahren verlor er das Augenlicht ganz.Schule, Beruf und Gründung einer Familie
Trotz seiner starken Sehbehinderung besuchte Josef die Grundschule bis zum 14. Lebensjahr in seinem Heimatort. Dann arbeitete er auf dem elterlichen Hof.Im Frühjahr 1958 erhielt Josef Besuch vom damaligen Präsidenten des Blindenverbandes, dem blinden Masseur Sepp Spitkò aus Meran. „Ich erinnere mich noch gut daran, wie Spitkò mich mit seiner sechzehnjährigen Nichte besuchte.“ erzählt Josef Stockner. „Sie kamen zu Fuß von Klausen herauf und brauchten zwei Stunden bis zu meinem Heimathof in Schnauders."
Im Herbst des selben Jahres wurde Josef in die Blindenanstalt nach Innsbruck geschickt. Dort erlernte er das Korbflechten und besuchte auch die Berufsschule. Nach dreijähriger Ausbildung erhielt er das Diplom als Korbflechter.
Seine erste Fahrt zur Schule nach Innsbruck ist Josef gut in Erinnerung geblieben. Seine Mutter begleitete ihn zum Bahnhof nach Klausen, wo ihn Herr Spitkò und seine Nichte erwarteten und in Empfang nahmen. Im Zug hatte er seinen ersten Kontakt mit Blinden. Diese Fahrten wurden unter den Schülern 'Blindentransport' genannt. Ein Abteil war reserviert und durch eine Fahne mit dem Blindenabzeichen gekennzeichnet.
Im November 1961 kam er nach Brescia, um einen Telefonistenkurs für Blinde zu besuchen. Hier erlernte er dann auch die italienische Sprache.
Mit 23 Jahren begann er im Krankenhaus Bozen als Telefonist zu arbeiten. Fünfzehn Jahre lang tat er dort Dienst, dann wechselte er 1978 zur "Bank von Trient und Bozen" und arbeitete dort bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1994.
Seit 1965 ist Josef Stockner mit Maria Kerschbaumer verheiratet, die ebenfalls aus einer bäuerlichen Familie in Feldthurns stammt. Die drei Söhne, Martin, Florian und Erich sind nun erwachsen und haben selbst Familie. Josef und Maria haben sechs Enkelkinder.
Fast ein halbes Jahrhundert Vorsitz des Blinden- und Sehbehindertenverbandes
1968 wurde Stockner erstmals in den Vorstand der Landesgruppe Südtirol des Italienischen Blindenverbandes und auch gleich zum Präsidenten gewählt. Dieses Amt bekleidete er bis 2015, also fast für fünf Jahrzehnte. „Meine Mitstreiter meinten, ich könne das Amt gut übernehmen, da ich durch meine Turnusarbeit viel Freizeit hatte. Ich habe mich überzeugen lassen, da ich vom Verband viel bekommen habe und nun auch etwas geben wollte.“ sagt Stockner. „Mein Lehrmeister war der erfahrene Sepp Spitkò. Er mochte mich sehr gerne, gab mir Ratschläge oder übte Kritik, damit ich das Amt auch gut führe, und informierte mich über die neuesten technischen Hilfsmittel. Davon hatte er eine ganze Sammlung. Ein besonderes Geschenk von ihm war ein Kompass, den ich noch heute besitze."In die Amtszeit von Josef Stockner fallen viele gesetzliche Errungenschaften, die das Leben blinder und sehbehinderter Menschen erleichterten. Zunächst ging es um die Auszahlung der provinzialen Ergänzungszulage zusätzlich zur sehr bescheidenen gesamtstaatlichen Zivilrente sowie um verschiedene Begünstigungen sowohl im Sanitätsbereich wie auch für den Ankauf von Medikamenten.
Einen Umschwung gab es 1970, als ein gesamtstaatliches Gesetz vorsah, dass die bis jetzt von einer staatlichen Stiftung ausbezahlten Renten für die Zivilblinden von da an über die Präfekturen - in Südtirol daher über das Regierungskommissariat - ausbezahlt werden. Somit konnte die schleppend arbeitende Stiftung aufgelöst werden. Es folgten Bestimmungen auf regionaler und gesamtstaatlicher Ebene zur Auszahlung der Zuwendungen unabhängig vom Einkommen, also einzig aufgrund der Behinderung, sowie zur Anpassung der Beträge an die Lebenshaltungskosten.
Am 21. August 1978 wurde das Landesgesetz Nr. 46 erlassen, das die vom Staat ausbezahlten Renten und Zuschüsse für Zivilinvaliden, Zivilblinde und Taubstumme seitens der Autonomen Provinz Bozen vorsah sowie die Beibehaltung der provinzialen Ergänzungszulage und eine Besserstellung der Renten im Vergleich zu den Staatsrenten ermöglichte. Dieses fortschrittliche Gesetz erfüllt heute noch seinen Zweck.
All diese Gesetzesmaßnahmen wurden in enger Zusammenarbeit mit der Regionalsektion in Trient, in Besonderem mit dem Regionalsekretär Dr. Ernesto Bonvicini erreicht. Ansprechpartner im Sozialassessorat für die hierfür notwendigen Kleinarbeiten und intensiven Verhandlungen war der Amtsdirektor Dr. Giuseppe Pantozzi. „Es war eine recht gute Zeit, in der man auf politischer Ebene so manches erreichen konnte. Wir hatten immer gute Kontakte zu den Behörden und politisch Verantwortlichen, besonders zu den Soziallandesräten. Ich konnte auch immer auf gute Mitarbeiter zählen, sei es im Büro als auch im Vorstand.“ erzählt Josef Stockner.
Es freute Stockner stets, wenn durch die Vermittlung des Blindenverbandes junge Menschen eine Arbeitstelle erhalten konnten, wodurch sie sich selbst eine Existenz aufbauen und evtl. eine Familie gründen konnten. Auch er verdanke in dieser Hinsicht dem Verband viel, bemerkt er.
Der direkte Kontakt zu den Mitgliedern lag Stockner sehr am Herzen. Er traf sich mit Betroffenen im Verbandsbüro, kontaktierte sie telefonisch oder machte landauf landab Hausbesuche bei Sehgeschädigten, sei es zusammen mit Dr. Bonvicini um bürokratische Angelegenheiten zu klären, sei es einfach zur Kontaktpflege. Ein Anliegen waren auch die Initiativen zum Kennenlernen und zur Stärkung der Gemeinschaft. Stockner hat immer gerne und aktiv mitgemacht und zahllose Vorhaben auch organisiert. Es ging um Treffen, Ausflüge, Sportveranstaltungen usw. Seit 1985 organisiert der Blinden- und Sehbehindertenverband regelmäßig Meeraufenthalte und Bergwanderwochen für seine Mitglieder.
Sein Organisationstalent besonders ausleben konnte Stockner bei der Durchführung der 25-Jahrfeier des Blindenverbandes im Jahre 1974 mit Landeshauptmann Silvius Magnago und dem Nationalpräsidenten des Verbandes Giuseppe Fucà in der Bozner Messehalle.
Als Krönung wurden 2009 im Rahmen eines Volksfestes auf den Talferwiesen in Bozen 60 Jahre Blinden- und Sehbehindertenverband Südtirol gefeiert. An der Feier nahmen 250 Personen, nämlich Mitglieder aus dem ganzen Land und ihre Begleiter, Politiker, Vertreter anderer Verbände und als Festredner der stellvertretende Nationalpräsident des Verbandes Prof. Enzo Tioli teil.
Über den Vorsitz des Blinden- und Sehbehindertenverbandes hinaus bekleidete Josef Stockner über all diese Jahrzehnte viele weitere Ehrenämter im lokalen und internationalen Blinden- und allgemein im Behindertenwesen, seien diese als Interessensvertretung oder auch sportlicher oder sozial/religiöser Natur.
Unterstützung durch Ehefrau und Familie
Seine Frau Maria war Josef Stockner bei seiner Tätigkeit stets eine wertvolle Stütze, die immer zur Sache gestanden ist und ohne die er kaum so viel hätte leisten können. Sie begleitete ihn zu unzähligen Besprechungen und fuhr ihn im Auto zu Sitzungen in ganz Italien und halb Europa. “Beim stundenlangen Warten während meiner Aussprachen hat meine Frau sicherlich einige Pullover für die Kinder gestrickt“ erwähnt er schmunzelnd.Überhaupt war die ganze Familie in die Verbandstätigkeit eingebunden. „Einmal besuchten wir einen 9jährigen Buben im hinteren Martelltal“ erinnert sich Josef Stockner. „Wir stellten unseren FIAT 600 ab und zu Fuß ging es eine Stunde lang über einen steilen Waldweg bis auf 1.700 m hinauf. Natürlich mussten wir unsere zwei Kinder auf die Wanderung mitnehmen. Sie waren im Kindergartenalter, der jüngste Sohn war noch nicht geboren. Meine Kinder kannten viele der Verbandsmitglieder gut und wussten genau, wo sie wohnten. Wenn wir zum Beispiel in Latzfons am Haus von zwei blinden Frauen vorbeifuhren, fragten sie immer, ob wir denn nicht bei den Zuckerletanten zukehrten.“
Zwischenmenschliche Kontakte und gute Beziehungen
Josef Stockner ist allseits aufgeschlossen, humorvoll und kann überhaupt mit Menschen gut umgehen. Deshalb war er als Präsident überall sehr beliebt. Er pflegte gute Beziehungen zu Vertretern von Blindenverbänden und Blindensportgruppen in ganz Italien und im deutschsprachigen Ausland. Wegen seiner vielen Verpflichtungen war er oft auf Reisen und hat überall Bekanntschaften geschlossen.Kein Ruhestand
Im Frühjahr 2015 hat Josef Stockner sein Amt als Vorsitzender des Südtiroler Blinden- und Sehbehindertenverbandes an Dr. Valter Calò aus Bruneck übergeben. Er ist aber weiterhin im Vorstand tätig und beispielsweise mit der Organisation der Ferienaufenthalte und Ausflüge betraut. Auch einige andere Funktionen im Blindenzentrum St. Raphael, in der Blinden- und Sehbehindertensportgruppe usw. übt er nach wie vor aus. Trotzdem versucht er, sich Zeit für das zu nehmen, was er gerne tut. So ist es keine Seltenheit, ihm in Feldthurns bei einem Spaziergang oder einem Karterle im Dorfgasthaus zu begegnen.Ehrenamtliche Tätigkeiten:
- von 1968 bis 2015 Präsident der Landesgruppe Südtirol des Italienischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes
- von 1994 bis 2001 Präsident des Regionalvorstandes des Verbandes und gleichzeitig im Vorstand des Italienischen Blindenverbandes in Rom; nach dessen Auflösung von 2003 bis 2015 als Landesvorsitzender im Nationalvorstand
- seit Gründung im Jahr 1969 Mitarbeit im Vorstand der Blinden- und Sehbehinderten-Amateursportgruppe Bozen
- seit 1979 Vizepräsident des Blindenzentrums St. Raphael
- von 1989 bis 2000 Vorstandsmitglied des Sektors Blindensport der FISD (Federazione Italiana Sport Disabili)
- von 1994 bis 2000 Mitglied der internationalen Torball-Kommission der IBSA (International Blind Sportassociation)
- Mitarbeit in der Kerngruppe ELISE Elterninitiative Sehgeschädigter Kinder
- seit Gründung im Jahre 1981 bis 2014 Vorstandsmitglied der Genossenschaft Werktätiger Behinderter
- mehrere Jahre Mitarbeit im Landesbeirat für das Sozialwesen
- Aufbau und langjährige Mitarbeit bei der Ortsgruppe Neugries des Katholischen Verbandes der Werkstätigen KVW
Auszeichnungen:
- "Auszeichnung für Hilfsbereitschaft" verliehen an Josef und Maria Stockner. Maria Stockner erhielt außerdem die Verdienstmedaille des Landes Tirol.
- "Sportehrenzeichen in Gold" für besondere Verdienste im Blindensport
- "Cavaliere della Repubblica Italiana"
- “Verdienstkreuz des Landes Tirol” für die Förderung der Blinden und Sehbehinderten in Südtirol